BUND Kreisverband Odenwald

Entwicklung des Odenwaldkreises ohne Natur?

27. September 2021

Das in diesen Tagen vorgelegte Kreisentwicklungskonzept für den Odenwaldkreis kündigt auf 487 Seiten Text 459 Handlungsoptionen an, mit denen auch auf die Bedürfnisse der Bevölkerung eingegangen werden soll. Die Aufgabenstellung formulierte klar die Ausrichtung ‚mit den Bürgerinnen Bürgern im Mittelpunkt‘ und mündete in Befragungen im Sommer 2019.

PRESSEMITTEILUNG VON HARALD HOPPE

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Leider haben die Verfasserinnen, diese Aufgabenstellung stark in Richtung auf Verwaltungsbedürfnisse abgebogen.


Votum für Natur, Landschaft und Umwelt

Die befragten Bürgerinnen nannten mit großem Abstand vor anderen Themen, die sie für die künftige Entwicklung des Odenwaldkreises für wichtig halten, den als stark positiv wahrgenommenen Naturraum sowie dessen Funktion für ein zufriedenstellendes Leben. 95% der Befragten gaben an, den Kreis als ‚lebenswert‘ einzuschätzen. Dies betrifft in erster Linie die Qualität der Landschaft, in der die Menschen gern leben. Die Zustimmungswerte zu Begriffen wie ‚modern‘,  ‚aufstrebend‘ oder ‚innovativ‘ waren demgegenüber nur ein Drittel so hoch. Aus Sicht des BUND Odenwald ist mit dieser Einschätzung der Befragung ein deutlicher Auftrag an die Verwaltung abzuleiten, diese Zuschreibung als Arbeitsgrundlage für das künftige Handeln zu verwenden.


Verwaltungsexperten haben eine andere Zielsetzung

Das Gesamtresultat des Entwicklungskonzeptes stellt die Befunde der Bevölkerungsbefragung auf den Kopf. Etwa 45% des Textes befassen sich mit Problemstellungen, die weitgehend mit der allgemeinen Verwaltung des Kreises zusammenhängen. Themen wie ‚Digitalisierung‘, ‚Wirtschaft‘, ‚Siedlungsentwicklung‘ und ‚Mobilität‘ beherrschen weite Passagen des Textes. 19 Kreispolitiker, 5 Hochschullehrerinnen, 16 Verwaltungsmitarbeiter der Kommunen, 55 Mitarbeiterinnen des Landratsamtes, 20 Interessenvertreter der Wirtschaft, 5 Landes-Behördenvertreter wurden befragt. 83 Männer und 37 Frauen gaben Antwort. Die Umwelt- und Naturschutzverbände, die im Kreisgebiet agieren, wurden nicht befragt. Von den 120 befragten Personen vertreten nur die 5 Hochschullehrerinnen keine Partikularinteressen, nur 5 Verwaltungsfachleute befassen sich mit dem Themenfeld Landschaft. Die Politiker und Behördenmitarbeiterinnen dürften für innovative Konzeptionen oder für neue Ideen eher nicht in Frage kommen; Verwaltung ist nach den Erfahrungen des BUND auf die Einsortierung des Bestehenden in vorgegebene Schubladen prädestiniert.
Mit ihrer Auswahl der befragten Personen haben die Bearbeiterinnen des Kreisentwicklungskonzepts die aus der Befragung erhobene Wertigkeit des Landschafts- und Naturschutzes glatt verfehlt. Herausgekommen ist das übliche Anpassungsprogramm für eine Verwaltung, die ganz andere Ziele verfolgt als es die Bevölkerung sich wünscht. Das muss nicht per se schlecht sein, es ist aber kein Eingehen auf die in der Aufgabenstellung betonte Berücksichtigung von empirischen Befunden aus der Bevölkerung.


Was wäre nötig?

Der BUND Odenwald hält einen Richtungswechsel in den Zielsetzungen der Kreispolitik und Verwaltung für notwendig. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 haben die jungen Menschen von heute das Recht, ihre Lebenschancen in der Zukunft gewahrt zu sehen. Dazu gehört die Planung der Zukunft und der Odenwälder Landschaft auf den wichtigsten Bereichen, die hierfür maßgebend sind: Landwirtschaft und Energieversorgung.
Beide Themen sind aus der anlaufenden Klimakatastrophe bekannt. Die Reaktion des Konzepts ist ungenügend.


Änderungen in der Landwirtschaft?

Ein Ansatz hätte zumindest in Gesprächen mit Odenwälder Landwirten bestehen können, die aber – wie die Umweltverbände – außen vor blieben. Ihre Probleme und ihre Möglichkeiten, zum Erhalt der noch als lebenswert bezeichneten Landschaft beizutragen, blieben unergründet.
Welche Perspektive sieht die hiesige Landwirtschaft für sich? Tragen Gaserzeugungsanlagen zur lebenswerten Landschaft bei? Wollen alle Landwirte jetzt Fotovoltaikanlagen auf ihren Wiesen? Die Kreispolitik verordnete bekanntlich eine Beschränkung der künftigen Odenwälder Energieversorgung auf Fotovoltaik und hält – entgegen der Einschätzung der Fachwelt – an der Gaserzeugung durch Pflanzenfermentation fest, die eine drastische Ausweitung der Maisäcker
nach sich zieht.

 

Fehlende Prognose für den Energiesektor


Das fatale Festhalten an einer unhaltbaren Position wurde am 23.09.21 in Lützelbach durch die Äußerung von Bürgermeister Uwe Olt ‚wir kämpfen bis zu letzten Patrone‘ (gegen weitere Windräder [BUND]) sichtbar. Ohne ein Konzept für die Energieversorgung des Kreises ist dies eine sachlich nicht haltbare Position. Das Kreisentwicklungskonzept schweigt sich über die Konsequenzen hier aus: es wird keine Flächenabschätzung geliefert, wieviel Flächen denn künftig für Fotovoltaik benötigt werden und wo die hergenommen werden sollen. Für die ausschließliche Versorgung mit Biogas wären 300.000ha Fläche nötig. Für die Fotovoltaik immer noch 250ha. Weil es aber eben am einfachsten ist, von Landwirten größere Flächen zu übernehmen als die Siedlungsfläche im Kreisgebiet dafür vorzusehen, wird erneut der anscheinend einfache Weg gegangen. Am Ende werden genau die 250ha Grünland der Fotovoltaik geopfert, auf die die Bevölkerung gern geschaut hat und die als bedeutendster Baustein des ‚lebenswerten‘ Odenwaldkreises gelten können. Die Planung von Mossautal liefert den Vorgeschmack: dort sind zur Zeit 30ha Grünland in der Auswahl für geplante Fotovoltaikanlagen. Das ist die Vorlage für alle übrigen Gemeinden.


Haben wir Zeit?

Nur eine der 50 Handlungsempfehlungen hat die Odenwald-Landschaft zum Thema: ‚Erarbeitung einer kreisweiten Strategie für den Bereich der Teilstrategie Natur- und Kulturlandschaft, Landwirtschaft und Landschaftspflege in Form eines oder mehrerer Papiere, wie z.B. einer Biodiversitätsstrategie, eines aktualisierten und öffentlichen regionalen Agrarumweltkonzepts, eines Landwirtschaftsberichts oder eines Naturschutzberichts.‘ Das Agrarumweltkonzept von
2009 liegt seitdem ungelesen in Schubladen. Zu erstellende Berichte über die Landwirtschaft oder den Naturschutz verbessern keinen Quadratmeter Fläche und führen auch nicht zu Entscheidungen in diese Richtung. Hier wäre eine Wendung in den politischen Gremien um 180° nötig. Dieselben Parlamente, die in den letzten Jahren weiter Bauland ausgewiesen haben, ohne den Eingriff in die Natur wenigstens auf dem Papier auszugleichen, werden diese Haltung nicht durch ein Strategiepapier aufgeben.
Der NABU-Odenwaldkreis berichtet über den Rückgang der Arten und das Verschwinden von Lebensräumen im Odenwald. Und das Kreisentwicklungskonzept macht 49 Vorschläge wie diesen ‚Durchführung einer genaueren Untersuchung bezüglich des Lohnniveaus und der lokalen Lebenshaltungskosten im Vergleich zu anderen Regionen‘. Hat man im Landratsamt eigentlich keine anderen Probleme? Hat man die Einschätzung der Bürgerinnen nicht zur Kenntnis genommen?

Das Kreisentwicklungskonzept 2021 kann hier heruntergeladen werden: Kreisentwicklungskonzept (externe Seite)

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